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Gemeinde Jesu oder eigenmächtiger christlicher Verein?

Konkurrenz belebt das Geschäft. In Anbetracht von Ortschaften mit 2500 Einwohnern und acht evangelischen Kirchen und Freikirchen, von ständig neuen Kirchengründungen in den frömmsten – und mit Kirchen am dichtesten besäten – Gebieten des christlichen Europas, während die Anzahl an Christen in denselben Gebieten nicht etwa zunehmend ist, sondern stagniert, ist es meines Erachtens wieder einmal an der Zeit zu fragen, ob denn Kirche eigentlich ein Geschäft ist, das durch Konkurrenz belebt werden muss. Kann man eine Gemeinde einfach so gründen wie einen Fussballverein oder wie eine Gesellschaft zur Erhaltung der Biervielfalt? Wird dabei das Wort Jesu, dass ER seine Gemeinde bauen will, nicht zu einer leeren Farce? Aber wenn Jesus andererseits sagt, dass er da, wo zwei oder drei sich in seinem Namen versammeln, mitten unter ihnen ist (Mt 18,20), reicht es dann nicht aus, wenn sich zwei bis drei Christen treffen, um Gemeinde zu sein?

Die Blickrichtung meiner Fragestellung ergibt sich also insbesondere aus der unbefriedigenden gegenwärtigen Lage, wo der alte Donatismus überboten und auf die Spitze getrieben wird. Denn während das schismatische Potenzial des Donatismus immerhin in der Frage nach dem Heiligkeitswert der Kirche lag, liegt heute das schismatische Potenzial der unüberschaubar gewordenen Fülle evangelischer Gruppierungen bereits in der Frage nach dem Unterhaltungswert der Kirche. Ich selbst war in mehr als einem Gottesdienst, wo der Pastor der jungen Kirche die Existenz ebendieser Kirche damit rechtfertigte, dass da Gottesdienst eben nicht so eine langweilige Angelegenheit sei wie in den anderen Kirchen. Natürlich gibt es aber nach wie vor auch Spaltungen aufgrund dessen, dass manche Christen in Hinblick auf Lehre und Leben die Reinheit der Gemeinde erhalten wollen und deshalb „verweltlichte“ Kirchen verlassen und neue gründen. Es kann sogar sein, dass sich in einer Gemeinde eine Gruppe abspaltet, weil sie die Gemeinde für zu verweltlicht hält, während sich gleichzeitig eine Gruppe abspaltet, weil sie die Gemeinde für zu weltfremd hält.

Die Schlussfolgerung liegt nahe – und tatsächlich machen Katholiken von dieser Schlussfolgerung manchmal auch Gebrauch –, dass die Reformatoren uns mit ihrem Schisma diese nach Individualismus und Separatismus schmeckende Suppe von Denominationen und Kirchen (zunehmend auch Einzelgemeinden, die keiner Denomination und keinem Gemeindeverband angehören) eingebrockt haben. Aus diesem Grund ziehe ich insbesondere CALVIN zur Rechenschaft. Es ist nämlich nicht so, dass die Reformatoren diese Gefahren nicht gewittert haben. LUTHER fand die Schwärmer noch ärger als die Papisten. Und CALVIN hat sich in seiner Institutio ausführlich Gedanken über diese Fragen gemacht, die bis heute aktuell sind.

Meine Arbeit ist in zwei Hauptteile gegliedert. Im ersten Teil beginne ich beim römisch-katholischen Kirchenbegriff. Denn die römisch-katholische Kirche ist ja Meisterin darin, die Einheit der Kirche durch eine Kirchendefinition zu wahren, nach welcher sie schlicht die einzige Kirche ist. Das kommt prinzipiell meiner kritischen Voreinstellung gegenüber der wachsenden Zersplitterung und Individualisierung insbesondere der evangelischen Christenheit entgegen. So frage ich danach, was man von diesem römisch-katholischen Kirchenbegriff übernehmen kann, weise aber auch darauf hin, wo er kritikbedürftig ist. Meine Kritik ist reformierte Kritik. Der Weg führt zu den reformierten Alternativen, die ich ihrerseits von individualistischen Ansätzen, wie sie sich in der radikalen Reformation herausgebildet haben, abgrenze. Damit nehme ich im ersten Teil eine Positionsbestimmung vor, die in verschiedenen Punkten aber erklärungsbedürftig bleibt.

Im zweiten Teil lasse ich den Katholizismus weitgehend beiseite und wende mich der innerevangelischen Meinungsvielfalt zu, das heisst der konkreten Auseinandersetzung zwischen einem reformierten und einem individualistisch-spiritualistischen Kirchenbegriff. Dazu greife ich die im ersten Teil herausgearbeiteten erklärungsbedürftigen Problemfelder auf und frage – wie erwähnt – insbesondere CALVIN um Rat. Denn da die „Reformatoren selbst ursprünglich der Auffassung waren, sie hätten sich nur vorübergehend von der katholischen Kirche abgesondert“, findet man in den Anfängen der Reformation bei LUTHER nur Ansätze einer Ekklesiologie. Erst nach dem Scheitern des Regensburger Religionsgesprächs im Jahre 1541 entstand der Reformation das Bedürftnis, eine systematische Ekklesiologie zu entwerfen, so dass man bei CALVIN an der richtigen Adresse ist.

Im dritten Teil, den Schlussfolgerungen, versuche ich, die Fäden zusammenzuführen, den Kern der Streitfrage zu benennen und die reformierte Antwort auf die Problematik vom Kern der Streitfrage her nochmals zusammenfassend zu formulieren. Dieser dritte Teil wird abgerundet mit einigen Gedanken, die einen Bezug zur heutigen Situation, wie ich sie oben in wenigen Strichen skizziert habe, schaffen sollen.

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